Aktuelles & Blog

Hämophilie und Schmerz: Handeln, wenn es wehtut (Teil 1)

Ein Artikel von Tanja Fuchs
erschienen in der Hämovision, Ausgabe Juni 2022

Schmerzen erkennen und frühzeitig behandeln

Damit Schmerzen gar nicht erst chronisch werden, müssen sie frühzeitig erkannt werden. Sind sie aber bereits da, gilt es sowohl die Behandlung als auch den Umgang damit zu optimieren.

Das Thema Hämophilie und Schmerz scheint eine lange Zeit eher wenig Beachtung gefunden zu haben. Für Schmerztherapeuten, sagt Dr. Katharina Holstein, seien Gerinnungsstörungen bisher überhaupt wenig präsent gewesen, was jedoch auch damit zusammenhängt, dass es sich um seltene Erkrankungen handelt. Weil Schmerzen bei Hämophilie aber durchaus ein häufiges Problem darstellen, rückt auch die Schmerztherapie hier zunehmend in das Blickfeld aller Beteiligten.

Es ist ein Thema mit vielen unterschiedlichen Aspekten und so vielschichtig, dass es – im Rahmen einer Reihe in der Hämovision – Beachtung finden soll. In Teil 1 dieser Reihe „Hämophilie und Schmerz“ geht es um das Erkennen, Behandeln und Vorbeugen von Schmerz aus der Sicht der Hämostaseologin Dr. Katharina Holstein.

Gelenkschmerzen bei Hämophilie | Witzleben Apotheke Berlin
Das Gelenk als Verbindungsstück zwischen zwei Knochen ist wichtig für die Beweglichkeit. Gelenkschäden schränken ein und schmerzen.

Häufiger als gedacht

Nachdem der Schmerz in der Hämophilie lange gar kein Thema war, beschäftigt man sich seit Kurzem auf mehreren Ebenen damit: Im November 2020 hatte die IGH (Interessengemeinschaft Hämophiler) eine online-basierte Umfrage gestartet, in der sie herausfinden wollte, ob und wie Schmerzen von Menschen mit Hämophilie wahrgenommen werden und wie der Umgang damit erfolgt. Auch wenn die Befragung nicht den Anspruch erhebt, wissenschaftlich repräsentativ zu sein, so hat sie doch eines deutlich gemacht: Der Handlungsbedarf ist größer als angenommen: Rund 50 Prozent der Teilnehmer gaben an, häufig oder sogar ständig Schmerzen zu haben, bei mehr als einem Drittel treten täglich Schmerzen auf! Mehr zur Umfrage und den Ergebnissen:  Ergebnisse zur Umfrage Hämophilie & Schmerz 2020

Info

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) ist mit rund 4.000 Mitgliedern und 120 Schmerzzentren die führende Fachgesellschaft zur Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen. In enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Schmerzliga e.V. ist es ihr vorrangiges Ziel, die Lebensqualität dieser Menschen zu verbessern – durch eine bessere Diagnostik und eine am Lebensalltag des Patienten orientierte Therapie. Die Mitglieder der DGS arbeiten in ärztlichen Praxen, Kliniken, Schmerzzentren, Apotheken, physiotherapeutischen und psycho-therapeutischen Einrichtungen interdisziplinär zusammen. Der von der DGS gestaltete, jährlich stattfindende Deutsche Schmerz- und Palliativtag zählt seit 1989 auch international zu den wichtigen Fachveranstaltungen und Dialogforen. Aktuell versorgen etwa 1.321 ambulant tätige Schmerzmediziner die zunehmende Zahl an Patienten. Für eine flächendeckende Versorgung der rund 3,9 Millionen Schmerzkranken wären mindestens 10.000 ausgebildete Schmerz-mediziner nötig. Um eine bessere Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen zu erreichen, fordert die DGS ganzheitliche und bedürfnisorientierte Strukturen – ambulant wie stationär – sowie eine grundlegende Neuorientierung der Bedarfsplanung.

Beim deutschen Schmerz- und Palliativtag ging es in diesem Jahr erstmals auch um Schmerzen, die infolge einer Hämophilie entstehen können. In der gesundheitspolitischen Diskussion gab es von der Politik das Versprechen, für die vertragsärztliche Versorgung künftig den Bedarf in der Schmerzmedizin zu berück-sichtigen und von der DGS die Forderung nach einem Facharzt für Schmerzmedizin, um die Nachbesetzung schmerzmedizinischer Praxen zu sichern. Denn: Die Zahl der Schmerzpatienten insgesamt steigt. Aktuell sind sie massiv unterversorgt und müssen trotz ihrer starken Beschwerden lange auf einen Termin bei einem Spezialisten warten.

Bestätigt wird die Notwendigkeit des Facharztes auch durch ein „Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung“ des Gemeinsamen Bundesaus-schusses* (GBA). Für die bio-psychosoziale Begleitung von Schmerzpatienten ist, DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann zufolge, ein integrativer Blick notwendig, der in keiner Einzeldisziplin abgebildet sei. Das führe dazu, dass schmerzmedizinisch tätige Ärzte über das Rentenalter hinaus tätig sind, da sie keine geeigneten Nachfolger für die Versorgung ihrer Schmerzpatienten finden.

(Quelle: PM Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.: www.g-ba.de/downloads/39-261-3493/2018-09-20_Endbericht-Gutachten-Weiterent-wickklung-Bedarfsplanung.pdf)

Schmerzen bei Hämophilie: das Problem

Gelenkschmerzen bei Hämophilie | Witzleben Apotheke Berlin

 
 
Prävalenz:
85 % der Patienten berichten Schmerzepisoden (1,2)

Gelenkschmerzen bei Hämophilie - Behandlung

 
 
Der Bedarf:
18–39 % sind nicht ausreichend behandelt (1,3)

Gelenkschmerzen bei Hämophilie - Bewegungskette

 
Die Folgen:
Schmerz in einer Region führt zur Störung der gesamten Bewegungskette (4)
89 % haben Einschränkungen im Alltag

Gelenkschmerzen bei Hämophilie - Stimmung

 
 
Bei 85 % Einfluss auf die Stimmung (5)

Schmerzen bei Hämophilie:
Wo treten sie auf, welche Arten gibt es?

Die meisten Menschen mit Hämophilie klagen über Schmerzen in Sprung- und Kniegelenken, aber auch Nacken- und Schultermuskulatur sind betroffen und in Verbindung damit kann es auch zu Kopfschmerzen kommen. Ursächlich dafür sind in der Regel Gelenk- und Muskelblutungen. Sie führen zunächst zu akuten Schmerzen, langfristig können sie die Gelenke schädigen und Entzündungen der Gelenkschleimhaut fördern (Synovitis), die wiederum chronische Schmerzen verursachen.

„Ist der Schmerz einmal da, besteht die Gefahr für weitere negative Folgen“, sagt Dr. Katharina Holstein. Wer Schmerzen habe, nehme häufig eine Schonhaltung ein und bedingt dadurch könne es zu Fehlbelastungen und asymmetrischen Bewegungen kommen, die ihrerseits eine erhöhte Belastung an bislang nicht schmerzenden Gelenken nach sich ziehen.

Auch die Einnahme von Schmerzmedikamenten ohne Rücksprache mit dem Arzt berge Risiken. Es könnten Nebenwirkungen auftreten und Abhängigkeiten entstehen. Nicht zuletzt führe auch die Angst vor Schmerz zu Schmerzen.

Die wichtigste Maßnahme, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen und einer Chronifizierung vorzubeugen, sei eine regelmäßige Prophylaxe, so Holstein. Blutungen sollten gar nicht erst entstehen. Darüber hinaus sei es wichtig, Beweglichkeit und Muskelkraft zu trainieren, insbesondere die Physiotherapie habe einen hohen Stellenwert für die Gelenkgesundheit.

In der Hämophilie haben wir glücklicherweise die Möglichkeit der Langzeitverordnungen. Sie sollten großzügig zum Einsatz kommen und bei älteren Patienten mit chronischen Schmerzen dauerhaft erfolgen.

Dr. Katharina Holstein

Info

Eine anschauliche Erklärung zum Thema findet man zum Beispiel im YouTube-Video der Sobi Science-Stories: Sobi Science Stories – Thema: Schmerz

Und auch im aktuellen Podcast mit Dr. Katharina Holstein erfahren Sie viele interessante weiterführende Informationen: Level up – Der Podcast

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Tanja Fuchs, Chefredakteurin der Hämovision, dass sie uns diesen Artikel für die Veröffentlichung auf unserer Homepage zur Verfügung gestellt hat!

Hämovision Juni 2022

Dieser Text ist erschienen in der Hämovision, Ausgabe Juni 2022. Sie finden diese Ausgabe zum Download auf unserer Website.

Weitere Ausgaben finden Sie zudem auf dieser Seite:
Das HÄMOVISION-Magazin – Leben mit Hämophilie

Hämovision März 2022