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Einflussreiche Vielfalt: Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit

Ein Artikel von Tanja Fuchs
erschienen in der Onkovision, Ausgabe 8

Dass es zwischen Darm und Gehirn eine wechselseitige Kommunikation gibt, ist erwiesen. Wie groß aber der Einfluss der sogenannten intestinalen Mikrobiota auf unsere körperliche und geistige Gesundheit ist, beginnt man erst allmählich zu verstehen. Denn die Summe aller mikroskopisch kleinen Bewohner, die unseren Verdauungstrakt besiedeln, steht mit vielen Körperfunktionen in Verbindung und spielt eine wesentliche Rolle bei der Immunabwehr.

Wir handeln aus dem Bauch oder haben Bauchschmerzen mit einer Entscheidung, wir spüren Wut oder auch freudiges Kribbeln im Bauch und manchmal schlagen uns die Ereignisse auf den Magen. Der sprichwörtliche Ort für eine Vielzahl von Stimmungen und Gefühlen ist ins Zentrum umfangreicher Forschung gerückt. Tatsächlich scheint das Darmmikrobiom – mitunter auch als „Superorgan“ bezeichnet – eine bislang vielfach unterschätzte Bedeutung zu haben.

Es bestimmt mit, wann wir satt sind und wie unsere Stimmung ist, ob und wie Medikamente vertragen oder Dosisanpassungen nötig werden, und auch darüber, wie hoch unser Risiko ist, bestimmte Krankheiten zu entwickeln. Noch steht die Forschung relativ weit am Anfang, doch bereits jetzt fließen bisherige Erkenntnisse mit in die Therapie einiger Erkrankungen ein.

Wissen: Unser Mikrobiom

Die Begriffe Mikrobiom und Mikrobiota (griech.: mikrós ‚klein‘, bios ‚Leben‘) bezeichnen im engeren Sinn die Gesamtheit aller den Menschen oder andere Lebewesen besiedelnden Mikroorganismen. Mit der Mikrobiota werden primär die Darmbakterien (Darmflora) in Verbindung gebracht – man spricht dann vom intestinalen Mikrobiom – aber auch alle Mikroorganismen, die auf der äußeren Haut (Hautflora) und auf den Schleimhäuten leben, gehören dazu. Ein erwachsener Mensch ist von etwa 100 Billionen Bakterien besiedelt, die sich überwiegend im Gastrointestinaltrakt befinden.

Unser Mikrobiom | Witzleben Apotheke Berlin

Dem Darmmikrobiom werden neben der Verwertung der aufgenommenen Nahrung viele weitere wichtige Funktionen zugeschrieben: Hierzu gehören zum Beispiel die Synthese lebenswichtiger Vitamine, die Produktion kurzkettiger Fettsäuren, die als Energiequelle für die Darmschleimhautzellen dienen und das Darmmilieu mitbestimmen. Auch die Förderung der Darmperistaltik, die Bekämpfung von Entzündungen, die Entgiftung von Fremdstoffen, die Unterstützung der Verdauung durch den Abbau schwer verdaulicher Nahrungsbestandteile (Ballaststoffe) gehört zu den Aufgaben des intestinalen Mikrobioms. Vor allem aber spielt das Mikrobiom eine wesentliche Rolle bei der Stimulation des Immunsystems und der Verdrängung von Krankheitserregern. Veränderungen der intestinalen Bakteriengemeinschaft stehen u. a. mit Erkrankungen wie Darmentzündungen, Darmkrebs, Adipositas, dem metabolischem Syndrom, Arthritis und auch bestimmten Formen von Autismus, Morbus Alzheimer und Depressionen in Zusammenhang (vgl. auch Wikipedia).

Das Darmmikrobiom: Die ersten Jahre sind entscheidend

Schätzungsweise 40 Billionen Bakterien leben in unserem Darm. Zusammen bringen sie ganze zwei Kilo Gewicht auf die Waage und wiegen damit mehr als das menschliche Gehirn. Ihr Einfluss auf ebendieses, sowie auf viele andere Organe und nicht zuletzt auf unser Immunsystem ist gewaltig.

Doch die Bakterienlandschaft und damit die Immunabwehr wird uns nicht automatisch mitgegeben, sie muss sich erst bilden. Eine ganz besondere Rolle spielen die Geburt und die ersten Lebensjahre eines Kindes. Kinder, die per Kaiserschnitt zur Welt kommen und nicht gestillt wurden, weisen eine geringere Diversität auf als solche, die den Geburtskanal passiert und Muttermilch erhalten haben. Aus diesem Grund würden viele Hebammen heute dafür Sorge tragen, dass das Neugeborene auch nach einem Kaiserschnitt in Berührung mit vaginalem Sekret kommt, sagt Prof. Harald Matthes. Was die in der Muttermilch enthaltenen Lacto- und Bifidobakterien betreffen, könne man diese inzwischen schon recht gut in Fertigpräparaten ersetzen. Nicht ersetzbar seien die in der Muttermilch vorkommenden Immunglobuline. Der Einfluss dieser auf das kindliche und spätere Immunsystem sei nicht zu unterschätzen, so der Gastroenterologe, der das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin leitet. Einfluss hat – neben Geburt und Stillen – auch eine mögliche Medikamentengabe in den ersten drei Lebensjahren. Hier sind an erster Stelle Antibiotika zu nennen. Kommen solche Arzneimittel in dieser ersten Lebensphase gehäuft zum Einsatz, verändert sich das Mikrobiom – die Diversität wird geringer, das Kind hat ein höheres Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln.

Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit

Alles zu seiner Zeit

Inwieweit man hier präventiv eingreifen kann, ist noch nicht klar. „Was wir noch lernen müssen“, sagt Harald Matthes, „ist, zu welcher Zeit welche Prägung erfolgt.“ Derzeit werde erforscht, welche Bakterien sich bei Neugeborenen ansiedeln und in welcher Reihenfolge dies geschieht. Die Frage ist etwa, wie sich hier von außen Einfluss nehmen lässt, indem mit entsprechenden Bakterienpräparaten substituiert wird. Ein Beispiel hierfür ist die pränatale Gabe des Bakteriums Lactobacillus rhamnosus zur Verhinderung erblich bedingter atopischer Erkrankungen.

Bereits im Jahr 2004 hatte das Ärzteblatt unter anderem über finnische Studien berichtet, in denen eine signifikante Abnahme der Inzidenz für atopische Dermatitis (AD) erzielt werden konnte1 2, wenn Schwangere mit atopischen Erkrankungen und deren Kindern bis zum sechsten Lebensmonat Lactobacillus rhamnosus (ATCC 53103) gegeben wurde. So konnte man nachweisen, dass durch die Zufuhr des Bakteriums der Gehalt antientzündlicher Zytokine, z. B. „transforming growth factor“ (TGF)-beta, in der Muttermilch sowie von Interleukin-10 (IL-10) im Serum der Kinder gesteigert wird. Insbesondere bei Kindern mit erhöhten Serum-IgE-Werten kann dadurch ein protektiver Effekt hinsichtlich der Manifestation einer AD erzielt werden.3

Wissen: Das Epithel

Epithel: Das Epithel ist eine biologische Sammelbezeichnung für Deck- und Drüsengewebe. Es handelt sich um ein- oder mehrlagige Zellschichten, die alle inneren und äußeren Körperoberflächen der vielzelligen Organismen bedecken. Epithelien sind auf vielfältige Weise und je nach Organ spezifisch differenziert. Oberflächenepithelien haben vor allem eine Schutzfunktion (z. B. die Haut). Sie können Stoffe aufnehmen (Resorption, z. B. Darmschleimhaut) und bilden eine Barriere, die das jeweilige Organ von der Umgebung abgrenzt

Das Epithel | Witzleben Apotheke Berlin

Gibt es einen Zusammenhang mit Krebs?

Inzwischen weiß man, dass vielen chronischen Erkrankungen eine Veränderung der Darmflora vorausgeht. Umgekehrt führt aber auch eine Erkrankung dazu, ein Ungleichgewicht der Bakteriengemeinschaft zu fördern. In einem systematischen Review konnte gezeigt werden, dass es bei bestimmten Krebsarten zu spezifischen Mikrobiomveränderungen kommt, insbesondere bei Magen- und Dickdarmkrebs. Generell ist das Risiko für die Entstehung von Krebs bei einer verringerten Diversität größer. Während die Zahl der Menschen mit Magenkrebs zurückgeht, nimmt der Darmkrebs zu. „Allerdings“, erklärt Prof. Matthes, „ist das im Wesentlichen dadurch bedingt, dass die Menschen immer älter werden. Die Inzidenz für Darmkrebs steigt mit dem Alter.“ Dennoch, ist der Gastroenterologe überzeugt, ließen sich die Fälle durch Lebensstiländerungen verringern. Neben einer ausgewogenen Ernährung mit viel Gemüse, Obst und Ballaststoffen, wenig Fleisch, wenig Zucker und möglichst wenig verarbeiteten Fertigprodukten gehöre dazu auch ausreichend Bewegung.

Prof. Harald Matthes zufolge bedingen sich Mikrobiom und Erkrankung gegenseitig: Unserem Lebensstil entsprechend kann sich unser Darmmikrobiom verändern und auch entzündliche Vorgänge anfachen. Nehmen bestimmte Bakterienarten wie z. B. die Firmicutes überhand, verschlechtert sich die Stoffwechsellage insgesamt, was sich wiederum negativ auf den Lebensstil auswirkt. „Ich würde sagen, langfristig bringt unser westlicher Lebensstil uns in diese Lage, aber es ist immer eine Wechselwirkung: Ökologische Gleichgewichte geraten aus der Balance und die Diversität nimmt ab. In einem sehr guten, also ausgewogenen Mikrobiom sind etwa 1.000 – 1.200 unterschiedliche Spezies zu finden. Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) beherbergen nur noch 600 – 800 verschiedene Arten. Ein Mikrobiom mit hoher Diversität ist deutlich stabiler und kann sich auch selbst schneller wieder regenerieren. Man könnte das mit der Natur vergleichen“, sagt Prof. Matthes. Ökologisch reiche Landschaften seien auch stabiler und erholten sich z. B. nach dem Befall von Schädlingen schneller als Monokulturen.

Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit
Je weniger industriell verarbeitete Lebensmittel, desto besser.

Auch die Ernährung spielt eine Rolle

„Wir wissen inzwischen, welche Bakterien sich von welchen Fetten ernähren und welche Kohlenhydrate bevorzugen“, sagt Prof. Matthes. So kann man theoretisch auch am intestinalen Mikrobiom erkennen, ob jemand viel Fleisch isst oder sich z. B. vegetarisch ernährt. Eine typisch westliche Ernährung mit vielen „leeren“ – also als Zucker aufgeschlossenen Kohlenhydraten in z. B. Pizza, Pasta und Weißbrot, sowie viel Fleisch, gesüßten Getränken, Frühstücksflocken, Chips und Süßigkeiten führt zur Vermehrung der Bakterien aus der Firmicutes-Gruppe, die vermehrt bei Menschen mit Übergewicht auftritt.

Wer nun glaubt, es sei ausreichend, einfach mehr Joghurt zu essen, wenn beispielsweise zu wenige Lactobazillen vorhanden sind, irrt. Denn leider führe die alleinige Substitution nicht zu erhöhter Diversität. Es habe sich gezeigt, erklärt der Gastroenterologe, dass durch Substitution zwar eine Dysbalance ausgeglichen, aber nicht unbedingt auch eine langfristige Stabilität erreicht werden könne. Allerdings, ergänzt der Mediziner, wisse man derzeit auch nicht wirklich, welches Mikrobiom denn nun das „Richtige“ ist. Sicher ist: Je höher die Diversität – also die Vielfalt unterschiedlicher Spezies – desto besser. Nun wäre es naheliegend, seinen Stuhl untersuchen zu lassen, um herauszufinden, wie es um das Gleichgewicht und die Vielfalt des intestinalen Mikrobioms bestellt ist? Dies ist Matthes zufolge aber nicht ganz so einfach. Eine genaue Aufschlüsselung der Bakterienarten sei dadurch nicht möglich. Beim Stuhl, erklärt er, handele es sich um Ausscheidungsprodukte und das Vorkommen von Bakterien im Stuhlgang ändere sich auch in Abhängigkeit dessen, was man zuvor gegessen habe. Um wirklich etwas über die Art und Zusammensetzung des Mikrobioms sagen zu können, müsse man sich die Darmschleimhaut ansehen, also das intramukosale (zur Schleimhaut gehörende) Mikrobiom betrachten. Der in den Epithelien gebildete Schleim ist eines der wesentlichen Nährmedien für die Bakterien. Hierzu ist eine Gewebeentnahme notwendig.

Dennoch gibt es inzwischen Ärzte und Institute, die eine Mikrobiomanalyse mittels 16 S Technik anbieten. „Das Problem ist dabei nicht das Ergebnis an sich, sondern was damit anzufangen ist“, sagt Prof. Matthes. Es gebe bisher nicht eine einzige Studie, die zeige, dass auf dieses Ergebnis der 16 S Analyse differenziert und nachhaltig therapiert werden kann. „Wir haben also viel Diagnostik mit wenig therapeutisch-wissenschaftlicher Konsequenz“, gibt der Gastroenterologe zu bedenken und ergänzt: „Wer sich dennoch dafür entscheidet, sollte dafür nicht mehr als max. 120 € bezahlen müssen.“

Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit
Naturjoghurt ist gesund, aber allein durch den Verzehr des fermentierten Milchproduktes lässt sich nicht immer auch langfristig Stabilität erreichen.

Unterstützen den Darm und die Therapie: Probiotika

Zu den Faktoren, die nachweislich zu einer Dysbalance im Darm führen, gehören, wie eingangs erwähnt, Antibiotika aber auch Zytostatika. Antibiotika werden nicht nur zur Prophylaxe, sondern auch zur Behandlung von Infektionen bei onkologischen Patienten angewandt. Fast alle Antibiotika führen dazu, dass das Bakterium Chlostridium difficile sich zu stark vermehrt. Bei gesunden Menschen ist C. difficile ein harmloses Darmbakterium. In zu hoher Zahl kommt es zur Bildung von Toxin A und B und es wird zum Durchfallserreger.

Auch eine Chemotherapie ist mit ungünstigen Folgen für das Mikrobiom verbunden. Und, mindestens ebenso von Bedeutung: Umgekehrt scheint die intestinale Mikrobiota auch direkt die Wirkung von Krebstherapien zu modulieren. Studien zufolge verschlechtert eine Störung der Mikrobiota das Ansprechen maligner Melanome (Hautkrebs) auf Immuntherapien, den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren und auf Krebstherapien mit sogenannten Platinderivaten4. Die parallele Therapie mit Prä- oder Probiotika gewinnt daher zunehmend an Bedeutung. Inzwischen gibt es spezielle Probiotika, die bereits während der Chemotherapie eingenommen werden können, um das Gleichgewicht im Darm und damit auch das Immunsystem zu unterstützen. Prof. Matthes empfiehlt dies sowohl nach der Einnahme von Antibiotika, als auch während bestimmter Chemotherapien.

In diesem Zusammenhang interessant sind auch die wachsenden Erkenntnisse im Bereich fäkaler Mikrobiomtransfer (FMT). Dabei wird Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm einer erkrankten Person übertragen. Besonders gute Erfahrungen hat man bei Patienten mit schweren Clostridium-difficile-Infektionen gemacht: Etwa neun von zehn Betroffenen konnten durch den Transfer geheilt werden. Weitere erste Ergebnisse liegen hinsichtlich Adipositas vor, und in kleineren Studien konnten positive Effekte bei Patienten mit Depressionen und Autismus, aber auch ergänzend zu bestimmten Krebstherapien gezeigt werden:

Wissenschaftler vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center hatten nachweisen können, „dass der autologe fäkale Mikrobiomtransfer (auto-FMT) eine sichere und effektive Möglichkeit ist, um bei Krebspatienten, die aufgrund einer Transplantation allogener hämatopoetischer Stammzellen eine intensive Antibiotikatherapie benötigen, dem dadurch geschädigten Darmmikrobiom gewissermaßen wieder auf die Beine zu helfen.“5

Auch im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe werden regelmäßig Stuhltransplantationen vorgenommen. Wie das Prozedere derzeit aussieht und was in Zukunft möglich sein könnte, erläutert Prof. Harald Matthes im nachfolgenden Interview.

Interview

mit Prof. Harald Matthes, Leitender Arzt Gastroenterologie, Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin

Herr Professor Matthes, in Deutschland werden jährlich etwa 1.000 Stuhltransplantationen vorgenommen. Wieviele sind es am Klinikum Havelhöhe und welche Erkrankungen haben die Patienten?

Im Klinikum Havelhöhe wird ein sogenannter fäkaler Mikrobiomtransfer ca. 50 mal im Jahr durchgeführt. Vor allem bei Patienten mit CED – also chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn und Colitis ulcerosa) sowie bei Clostridium difficile Infektionen.

Wie funktioniert eine Stuhltransplantation?

Zunächst einmal brauchen wir sorgfältig ausgewählte, gut untersuchte Stuhlspender. Für eine deutschlandweite Studie zu CED und FMT, die im nächsten Jahr startet, haben wir ca. 20 Superdonoren. Diese sind zwischen 20 und 50 Jahre alt und erfüllen bestimmte gesundheitliche Voraussetzungen. Sie dürfen beispielsweise keine Infektionen und keine Depressionen haben. Wie ein Patient dann im Einzelnen auf die Spende eines bestimmten Donoren reagiert, muss individuell ausgetestet werden. Das ist zeitaufwändig. Zur Spende müssen die Donoren in die Klinik kommen, denn der Stuhl muss innerhalb von einer Stunde gefiltert und aufbereitet werden. Mittels Magensonde oder über eine Koloskopie appliziert, erhalten die Patienten dann einen fäkalen Mikrobiota Transfer (FMT).

Ist es schwierig, Spender zu finden?

Ja, die rechtliche Situation ist nicht ganz einfach, denn weil Stuhl bislang noch als biologisches Material eingestuft wird, dürfen wir die Spender (zukünftig auch Superdonoren) nicht bezahlen. Sie erhalten lediglich eine Aufwandsentschädigung. Ein Stuhlspender muss aber einiges an Aufwand in Kauf nehmen. Er muss untersucht und getestet werden und jedes Mal erneut zur Spende in die Klinik kommen. In den USA ist kürzlich bei einer solchen Transplantation eine Infektion übertragen worden. Der Spender hatte sich zwischenzeitlich einen multiresistenten Keim eingefangen. Daher stellt sich jetzt auch die Frage: Wie häufig müssen wir die Spender gesundheitlich screenen?

Good Clinical Practice (GCP): Auch der fäkale Mikrobiomtransfer unterliegt neuerdings den strengen GCP-Richtlinien. Ab dem Moment, wo das biologische Material zur weiteren Aufbereitung übergeben wird, gelten die GCP Richtlinien zur Arzneimittelzubereitung.

Wird der Mikrobiomtransfer dennoch zunehmen?

Ja, davon ist auszugehen. Es gab diesbezüglich auch kürzlich eine kleine Revolution innerhalb des Arzneimittelrechts: Wir haben eine Studie beim BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) beantragt: Es geht darum, dass der Stuhl, der besonders gut für eine Heilung geeignet ist, in Kapseln zur oralen Einnahme gebracht wird. Bislang galt Stuhl, wie gesagt, als biologisches Material und nicht als Arzneimittel. Auch Probiotika sind derzeit meist als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt und nur wenige Probiotika sind als Arzneimittel zugelassen. Zweieinhalb Jahre lang haben sich Juristen nun Gedanken darüber gemacht, wie Stuhl von Spendern zu bewerten sei. Sie sind zu dem Schluss gekommen, „dass das Ganze mehr ist als seine Teile“. Dieser Definition zufolge wurde entschieden, dass es sich doch um ein Arzneimittel handelt.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Therapiestudie, in der ein akuter Schub bei Colitis ulcerosa mittels FMT behandelt wurde, hat nun die rechtliche Hürde genommen und ist als Arzneimittelstudie bewertet worden. Um die Gabe des Stuhls von den Superdonoren (Spendern mit bekannt guter Wirkung bei Colitis ulcerosa) anwenderfreundlicher als Arzneimittel abgeben zu können, wird zukünftig der Stuhl von diesen Spendern filtriert und die erhaltene Bakteriensuspension gefriergetrocknet (lyophilisiert) in eine Gelatinekapsel eingebracht. So erhält der Patient für eine FMT zukünftig eine einfache Gelatinekapsel und der Ekelfaktor vor dem Stuhl ist dabei völlig eliminiert.

In den USA war man an dieses Problem ganz anders herangegangen: So wurde der Stuhl anfänglich als Agrarprodukt eingeordnet und vom US Department of Agriculture (USDA) reguliert. Nach der Übertragung von multiresistenten Keimen und einem Todesfall ist nun auch die FMT unter der Regulierung der FDA (Arzneimittelbehörde).

Für welche Erkrankungen gibt es diesbezüglich Erfahrungen?

Sehr gute Ergebnisse zur Heilung sind bei C. diff. Infektionen gegeben. Erste gute Ergebnisse gibt es bislang bei Adipositas, CED, Neurodermitis und in sehr kleinen Studien auch für Depression, Angststörung und sogar Autismus, wo das Ausmaß der Symptomatik reduziert werden konnte.

Welche Rolle könnte der Stuhl in der Diagnostik von Krebserkrankungen spielen?

Bei den verschiedenen Krebsarten kommt es zu einer vermehrten Expression von Onkogenen (=Wachstumsgenen) oder Mutationen von Onkogenen bzw. Tumorsuppressorgenen. Diese veränderten Gene werden auch bei Darmkrebs, dem häufigsten Tumor in Deutschland, sowie auch beim Magen- oder Speiseröhrenkrebs mit dem Stuhl ausgeschieden.

Durch die Entwicklung sogenannter Genchips können diese Veränderungen im Stuhl gemessen werden. Liefert der Chip den Hinweis auf spezifische Veränderungen, wie z.B. Polypen im Darm, kann zum Beispiel gezielt eine Koloskopie (Darmspiegelung) eingeleitet werden. Für die Patienten wäre diese Art der Prävention angenehmer, da eine Koloskopie nur bei positivem Befund notwendig ist. Damit verbunden u. a. auch die Hoffnung, dass mehr Menschen eine Darmkrebsvorsorge in Anspruch nehmen. Bislang sind es nur 15 Prozent. In den USA ist ein solcher Genchip bereits erhältlich.

Herr Professor Matthes, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Tanja Fuchs, Chefredakteurin der Onkovision, dass sie uns diesen Artikel für die Veröffentlichung auf unserer Homepage zur Verfügung gestellt hat. Der Text ist erschienen in der Onkovision, Ausgabe 8 (November 2019).

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Quellen

1) Kalliomaki M, Salminen S, Arvilommi H, Kero P, Koskinen P, Isolauri E: Probiotics in primary prevention of atopic disease: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2001; 357: 1076–1079. MEDLINE.

2) Kalliomaki M, Salminen S, Poussa T, Arvilommi H, Isolauri E: Probiotics and prevention of atopic disease: 4-year follow-up of a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2003; 361: 1869–1871. MEDLINE

3) Rosenfeldt V, Benfeldt E, Nielsen SD, Michaelsen KF, Jeppesen DL, Valerius NH et al.: Effect of probiotic Lactobacillus strains in children with atopic dermatitis. J Allerg y Clin Immunol 2003; 111: 389–395. MEDLINE).

4) BeIida N, Dzutsev A, Stewart CA, et al: Commensal bacteria control cancer response to therapy by modulating the tumor microenvironment. Science 2013; 342: 967–70 CrossRef MEDLINE).

5) Kompakt Gastroenterologie, 28.9.2018; Sci Transl Med. 2018 Sep 26; 10(460): eaap9489. doi: 10.1126/scitranslmed.aap9489