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Schwanger mit Brustkrebs

»In meinem Körper wuchs das Leben und gleichzeitig mein größter Feind.«

Zwei Nachrichten am selben Tag: Ein positiver Schwangerschaftstest und die Diagnose Brustkrebs.

Ein Text von Tanja Fuchs (Onkovision, Ausgabe 22)

Eigentlich hatte sich Nour Bektas gerade mit dem Gedanken angefreundet, das Thema »zweites Kind« für eine Weile zurückzustellen. Bedingt durch ihre Endometriose hatte sich eine erneute Schwangerschaft einfach nicht einstellen wollen.

Ihr erstes Kind ist vier Jahre alt und Nour Bektas hat kürzlich einen neuen Job angefangen. „Mein Mann und ich hatten uns daher überlegt, noch ein bisschen zu warten.“ Aus diesem Grund möchte die 34-Jährige zu diesem Zeitpunkt auch nicht mit der Gelbkörperhormon-Therapie beginnen, die ihr Gynäkologe ihr in der Sprechstunde empfiehlt. »Aus irgendeinem Grund habe ich meinen Gynäkologen an diesem Tag aber gebeten, meine Brust abzutasten. Es war ein spontaner und instinktiver Gedanke. Ich war nicht sicher, meinte aber, etwas gespürt zu haben«, erzählt sie.

Ihr Frauenarzt schickt sie zum Brustultraschall, ist mit dem Bericht des Kollegen aber nicht ganz zufrieden und möchte auf Nummer sicher gehen. Also überweist er seine Patientin in ein entsprechendes Krankenhaus, in dem ggf. auch eine Biopsie vorgenommen werden kann. »Weil ich keine Ahnung hatte, welche Art der Untersuchungen auf mich zukommen würden, dachte ich mir, ich gehe auch auf Nummer sicher und mache nochmal einen Schwangerschaftstest.« Mit dem Ergebnis hat Nour Bektas nicht gerechnet: Der Test ist eindeutig positiv! Obgleich ihr Mann sich riesig freut, ist sie selbst zurückhaltend, möchte erstmal die Sache mit der Brust geklärt haben. »Wir waren eigentlich nicht wirklich beunruhigt, es gab keine uns bekannten familiären Krebserkrankungen, ich war ja noch jung und fühlte mich gesund.«

»Wir waren völlig überfordert«

Nours Mann begleitet sie zum Krankenhaus, muss aufgrund der Corona-Regeln aber draußen warten. Die Ärztin in der Klinik macht erneut einen Ultraschall der Brust. »Und dann hat sie sich zu mir gedreht und gesagt: Es tut mir leid Frau Bektas, aber das sieht leider nicht gut aus.« Es habe ihr förmlich den Boden unter den Füßen weggezogen, erinnert sich Nour. »Ich hatte das Gefühl, von jetzt auf gleich in ein schwarzes Loch gefallen zu sein. Ich dachte, ich müsste sterben, ich dachte an meinen kleinen Sohn zu Hause und an das Baby im Bauch. Ich dachte daran, wie ich es meiner Familie sagen sollte. All diese Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf, versetzten mich in Panik.« Obgleich die Ärztin versucht sie zu beruhigen und ihr klarzumachen, dass die Diagnose kein Todesurteil ist, ist die Welle der Verzweiflung nicht aufzuhalten. »Ich bin zu meinem Mann nach draußen gerannt und dann sind mir die Beine förmlich weggesackt. Mitten auf der Straße bin ich zusammengebrochen und habe immer nur geschrien „Was machen wir denn jetzt?!«

»Ich überlasse es dem Schicksal, mein Kind soll selbst entscheiden.«

Nour Bektas ist in der fünften Schwangerschaftswoche – also noch ganz am Anfang. Noch vor der Biopsie rät man ihr dazu, sich hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruchs beraten zu lassen und sich damit auseinanderzusetzen. Doch als das Biopsie-Ergebnis vorliegt, sagt ihre Onkologin folgendes: „Rein medizinisch gesehen gibt es keinen Grund für eine Abtreibung. Das Kind kann sich von alleine verabschieden oder aufhören zu wachsen.“ Das sei das einzige Risiko und für sie selbst würde dadurch kein Nachteil entstehen. Für Nour Bektas ist sofort klar: „Das liegt jetzt nicht mehr in meiner Hand. Ich überlasse es dem Schicksal, mein Kind soll selbst entscheiden.“ Bis die Chemo beginnen kann, muss Nour Bektas warten. Nach der 12. Schwangerschaftswoche geht es los: Sie erhält viermal eine Kombinationstherapie und sieben Taxol-Infusionen. Sie verliert ihre Haare, ihren Appetit und an Gewicht. Aber das Kind in ihrem Bauch nimmt zu und wächst.

Ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat hat Nour Bektas ihre Schwangerschaft als Entlastung empfunden. »Mit meiner kleinen Tochter im Bauch hatte ich das Gefühl, nicht alleine bei der Chemo zu sein: ”Wir zwei gegen den Krebs!” Das hat mir geholfen…«

Chemotherapie und Schwangerschaft setzen Nour Bektas zu und die Ärzte gehen davon aus, dass man das Kind per Kaiserschnitt holen wird. »Mein Körper würde es nicht schaffen, eine normale Geburt zu stemmen, so die Annahme. Tatsächlich hatte ich eine andere Vision: Ich habe mir immerzu vorgestellt, dass ich eine ganz normale und vor allem einfache Geburt haben würde. Wenn mich Kolleginnen auf der Arbeit fragten, was ich mir zur Geburt wünsche, sagte ich, ich wünsche mir ein Flutschbaby“. Eines, das einfach so rausflutscht«, erzählt Nour Bektas und lächelt. Denn genau so ist es gekommen.

Vier Wochen vor Entbindungstermin wird die Chemo beendet und in der Nacht, bevor die Geburt eingeleitet werden soll, platzt die Fruchtblase. Die Wehen sind regelmäßig, der Muttermund bereits geöffnet. Trotzdem gibt man Nour Bektas eine PDA. »Danach habe ich erstmal drei Stunden geschlafen und war überrascht, als die Hebamme mich weckte, um mir zu sagen, dass es losgeht. Ich sollte pressen, aber ich habe nichts gespürt. Also habe ich meine ganze Vorstellungskraft zusammengenommen und versucht zu pressen… und dann war sie da! Meine Kleine hat genau das gemacht, was ich mir gewünscht habe. Sie ist einfach rausgeflutscht. Und dann lag mein Wunderbaby, wie wir sie nennen, in meinem Arm. Sie trägt den Namen Mayla – arabisch für Hoffnung.«

Operation und Bestrahlung

»Ich habe zu Beginn versucht, keine zu starke Beziehung zu meinem Baby aufzubauen. Zu groß war die Sorge, ich könnte es verlieren. Aber ich habe trotzdem alles dafür getan, dass es wachsen kann.« Nour Bektas recherchiert im Internet und stellt ihre Ernährung um: keine Kohlenhydrate direkt vor der Chemo, Nahrungsergänzung mit Selen und Vitamin D3, keinen Zucker und weniger Milchprodukte und eine große Portion Optimismus. »Ich habe mich förmlich gezwungen, etwas zu essen und das, was ich esse, bei mir zu behalten, damit mein Kind genug Nährstoffe erhält.« Tatsächlich habe sie sich kein einziges Mal übergeben.

Ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat habe sie ihre Schwangerschaft dann nicht mehr als Be- sondern als Entlastung empfunden. »Mit meiner kleinen Tochter im Bauch hatte ich das Gefühl, nicht alleine bei der Chemo zu sein: „Wir zwei gegen den Krebs! Das hat mir geholfen und ich habe mich getraut, fest daran zu glauben, dass wir es beide schaffen würden.«

Mit der Geburt der kleinen Mayla ist für Nour leider noch nicht alles überstanden. Sie muss umgehend mit der Antihormontherapie beginnen, kann also nicht stillen. »Natürlich hätte ich gerne gestillt, aber ich bin froh und dankbar, dass ich unter diesen Umständen ein gesundes Kind zur Welt gebracht habe.«

Drei Wochen nach der Geburt wird Nour operiert. »Der Tumor war einfach zu groß, also hat man die komplette Brust entfernt«, erzählt sie. Dreiviertel der Brust waren befallen, es handelte sich um einen aggressiven Tumor, der bei der Diagnose bereits das Stadium G3 hatte. Aus diesem Grund folgen im Anschluss an die OP auch noch rund acht Wochen Bestrahlung.

„Natürlich ist das ein Schock, wenn man das Ergebnis zum ersten Mal sieht. Aber ich wollte größtmögliche Sicherheit, dass da wirklich nichts zurückbleibt.“ Ob sie sich später noch für einen Wiederaufbau entscheidet, weiß sie noch nicht: Das ist eine große OP. „Vom heutigen Standpunkt aus, würde ich eher sagen, ich möchte das nicht. Es ist eine rein ästhetische Sache und mit meiner Epithese bin ich zufrieden und gehe damit offen um.“ Tatsächlich möchte Nour ihrem Körper jetzt erstmal ein bisschen Auszeit gönnen und für ihre Kinder da sein.

Die Chemotherapie während der Schwangerschaft, die Operation mit Mastektomie, Bestrahlung und die fortlaufende Antihormontherapie in Form von Tabletten waren kräftezehrend. Die dreiwöchige Mutter-Kind-Kur an der Ostsee fühlt sich daher wie Urlaub an. Nours Mann nimmt sich zwei Wochen frei und fährt dann mit seiner 10 Monate alten Tochter wieder nach Hause. Denn weil Mayla unter drei Jahre alt ist, hat sie keinen Anspruch auf Betreuung. »Ich habe die letzten Tage also genutzt, um ganz für meinen Sohn da zu sein“« sagt Nour, die sich jetzt darauf freut, bald wieder mit der kompletten Familie zu Hause zu sein.

Angst und Motivation, Eigeninitiative und Optimismus

Die Angst, sagt Nour Bektas, sei in den letzten 20 Monaten ihr täglicher Begleiter gewesen. »Gleichzeitig hatte ich den ungebrochenen Willen und die Motivation, das durchzuziehen. Aber auch Eigeninitiative: Die Medizin macht ihren Teil, was kann ich dazu beitragen? Ich habe alles unternommen, um die Chemo so gut wie möglich zu überstehen. Schließlich gab es wichtige Aufgaben, die auf mich warteten: mein Sohn zu Hause und meine Tochter im Bauch. Das hat mich motiviert.« Sie sei Schritt für Schritt gegangen: Die Schwangerschaft und die Chemo gut überstehen – die Kleine auf die Welt bringen – die OP – die Bestrahlung – die Hormontherapie. »Jetzt – nach drei Wochen Mutter-Kind-Kur«, sagt Nour Bektas, »ist es an der Zeit für psychoonkologische Unterstützung.« Wie so oft, wenn der Behandlungsmarathon hinter einem liegt, beginnt man erst dann zu realisieren, was eigentlich passiert ist. »Ich möchte für meine Kinder stabil sein und denke, ich könnte psychologischen Support gebrauchen.« Darüber hinaus versucht die junge Mutter auch ihren Körper zu stabilisieren: Weil sie viel Gewicht verloren hat, hat sie in ihrer onkologischen Schwerpunkt-Apotheke eine BIA-Messung (siehe Kasten) vornehmen lassen und die anschließenden Empfehlungen der dortigen Ernährungsberaterin beherzigt. Nach der Kur wird eine erneute Messung vorgenommen: »Ich bin gespannt, ob meine Werte sich positiv verändert haben.«

Wissen

Die bioelektrische Impedanzanalye (BIA) ist ein wissenschaftlich anerkanntes und etabliertes Messverfahren, welches den Ernährungs- und Trainingszustand zuverlässig analysiert. Es zeigt die aktuelle Körperzusammensetzung hinsichtlich Aktivkörperzellmasse (Muskulatur und Organe), Körperwasser und Fett. Am liegenden Körper werden an Hand- und Fußrücken je zwei Hautelektroden angebracht und ein geringes elektrisches Wechselstromfeld erzeugt. Die Messung dauert dann nicht länger als ein paar Sekunden. Mit entsprechender Beratung kann man so Patienten dabei unterstützen, eine Mangelernährung zu verhindern oder auszugleichen, gesund Gewicht zu- oder abzunehmen. Patienten mit einer onkologischen Erkrankung beispielsweise profitieren ganz wesentlich davon, wenn ihre Muskulatur und damit Kraft, Immunsystem und Vitalität so weit wie möglich erhalten bleiben oder stabilisiert werden. Die BIA-Messung ist z. B. in unserer onkologischen Schwerpunkt-Apotheke möglich, in der nach der Messung auch mit entsprechend individuellen Ernährungshinweisen direkt unterstützt werden kann.

»Ich möchte anderen Frauen unbedingt Mut machen, nicht aufzugeben und versuchen, so gut wie möglich in Erfahrung zu bringen, was man selber für seinen Körper noch zusätzlich zur Medizin tun kann. Denn da gibt es noch unendlich viele Möglichkeiten.«