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Spinale Muskelatrophie (SMA)

Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine Motoneuronerkrankung, die zu den seltenen Erkrankungen zählt, aber dennoch relativ häufig auftritt – ungefähr eines von 10.000 Neugeborenen ist davon betroffen und etwa einer von 45 Menschen ist Überträger dieser autosomal rezessiven Erbkrankheit.

Erst wenn beide Elternteile ein defektes Gen haben, bekommt das Kind entsprechend die zwei fehlerhaften Kopien des SMN1 Gens und wird an SMA erkranken. Hat nur ein Elternteil das defekte Gen, wird das Kind zum Überträger – aber nicht selbst an SMA erkranken.

Um die genetischen Aspekte der Diagnose SMA zu verstehen und auftretende Fragen zu klären, wird eine Beratung durch Fachärzte für Humangenetik empfohlen.

Bei 2 % der Patienten tritt eine „de novo Mutation“ auf – das bedeutet, ihre Erkrankung wurde nicht durch fehlerhafte Gene vererbt, sondern durch einen Fehler in der DNA der Eizelle oder des Spermiums.

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Chromosomen Veränderung

Der Gendefekt – hier auf dem fünften Chromosom in einer Region der DNA, die mit „q“ bezeichnet wird- bewirkt, dass ein für unsere Nervenzellen (Motoneurone) im Rückenmark lebenswichtiges Protein vom Körper nicht hergestellt werden kann. In Folge können Nervenimpulse nicht mehr an die Muskelzellen gesendet werden, was sich auf die Muskelkraft und Bewegung auswirkt und Muskelschwund (Muskelatrophie), Lähmungen (Parese) sowie verminderte Muskelspannung auslöst. Ohne Reize werden die Muskeln schwach und können sogar absterben: Kopfheben, Greifen, Krabbeln und Laufen sowie Kauen und Schlucken sind nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Auch die Atemmuskulatur, die für den Sauerstoffaustausch und auch das Abhusten zuständig ist, kann anfällig werden, es kann zu Lungenentzündungen kommen – bis hin zum Tod durch Atemschwäche.

Intelligenz und die physiologische Wahrnehmung der Umwelt werden nicht beeinträchtigt. So sind die Sinne Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und auch die Hautsensibilität mit dem Tastsinn nicht betroffen. Patienten mit SMA sind geistig wach und kontaktfreudig.

Einteilung in Typen

Die Diagnose der häufigsten Form der Spinalen Muskelatrophie und ihre Einteilung in insgesamt vier Typen unter der Bezeichnung SMA 5q orientiert sich an maximalen motorischen Fähigkeiten der Betroffenen und daran, wann die Erkrankung eingetreten ist. Allerdings sind die Übergänge eher fließend, eine mögliche Prognose lässt sich daraus nicht ableiten. Typisch ist der Verlust der Muskelkraft im Verlauf der Erkrankung, was durch die kindlichen Wachstumsschübe schnell passieren kann – aber nicht muss. Mitunter bleibt die Muskelkraft auch über einen längeren Zeitraum stabil. Tendenziell bleibt der Funktionsverlust aber bis ins Erwachsenenalter bestehen.

TYP I – (0-6 Monate) – Akute Infantile SMA/ „Werdnig/Hoffmannsche Erkrankung)

Die akute infantile SMA ist die schwerwiegendste Form der Erkrankung. Sie ist oft bereits schon zum Schwangerschaftsende hin wahrzunehmen und macht sich durch weniger werdende Bewegungen des ungeborenen Kindes im Mutterleib bemerkbar. Nach der Geburt äußert sie sich zunächst in einem niedrigen Muskeltonus – eine augenscheinliche „Schlaffheit“ des Säuglings (die in den Beinen stärker als in den Armen ausgeprägt ist). Sie zeigt sich aber auch in einer schwachen Schluckmuskulatur, die zu Schwierigkeiten beim Stillen und Füttern führen kann. Zudem bestehen oft Atemprobleme aufgrund der schwachen Atemmuskulatur. Frühkindliche Entwicklungsstufen wie Kopfheben, Drehen, Greifen und Sitzen werden nicht erreicht

Typ II – Beginn 7-18 Monate – Chronisch-Infantile SMA

Hier sind die Kinder etwas weniger stark betroffen als mit der ersten Form – sie können ohne Unterstützung sitzen, aber nicht selbstständig gehen und haben ebenfalls Anzeichen einer Schwäche der Schluck- und Atemmuskulatur.

Typ III – Beginn 18 Monate – Juvenile SMA (Kugelberg-Welander Erkrankung)

Die Kinder lernen alleine zu laufen- diese Fähigkeit kann aber wieder verloren gehen. Bei dieser Form bestehen in der Regel auch keine Probleme beim Atmen und Schlucken.

Die juvenile SMA wird nochmals unterteilt in Typ 3a (18-36 Monate) und Typ 3b (ab 3 Jahre-18 Jahre)

Typ IV – adulte SMA

Erwachsene haben unterschiedliche Krankheitsverläufe und zeigen erste Symptome in Form von unklaren muskulären Schmerzen oder Beschwerden– meist mit geringen Einschränkungen beim Laufen.

Neue Bezeichnungen

Anstelle der Unterteilung in Typen soll zukünftig die Unterteilung in: „Non Sitters“/ „Sitters“ / und „Walkers“ erfolgen, um den motorischen Zustand abzubilden: „Nicht sitzen können“/ „Sitzen können“ und „Laufen können“.

Multidisziplinäre Beratung und Versorgung / Therapeutische Möglichkeiten und Spezialisten

Rehabilitation/ Orthopädie/ Ergo- und Physiotherapie/ Knochengesundheit

„Bei der Behandlung aller Probleme sollte der Erhalt der Bewegungsfähigkeit und das allgemeine Wohlbefinden immer im Vordergrund stehen“ (Leitfaden zu den internationalen Therapiestandards der Spinalen Muskelatrophie)

Die Erkrankung führt häufig zu Problemen mit der Wirbelsäule und den Hüften. Darüber hinaus kann es zu Versteifungen der Gelenke kommen (davon betroffen sind Schulter, Ellenbogen, Handgelenke, Finger, Hüften, Knie, Knöchel und Füße). Aus diesem Grund sollte eine regelmäßige individuelle Physiotherapie unterstützend in Anspruch genommen werden, um Muskelkraft und somit funktionelle Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten. Daraus resultiert auch eine gute Lebensqualität, die mit Aktivitäten des täglichen Lebens einhergeht, wie sich alleine hinsetzen, selbstständig zu essen und die Toilette zu benutzen.

Zur Unterstützung im Alltag stehen neben Aufrichtstühlen, Rollstühlen und angepassten Betten, auch orthopädisches Schuhwerk und Schienen, sowie Korsetts, Orthesen und weitere Hilfsmittel zur Verfügung.

Da bei Patienten mit SMA die Gefahr einer Verminderung der Knochendichte (Osteopenie) besteht, wird zusätzlich eine jährliche Knochendichtemessung empfohlen.

Gastroenterologie und Diätik/ Ernährung/ Magen-Darm

Viele SMA Patienten leiden unter Magenproblemen wie Reflux und Erbrechen, einer verzögerten Magenentleerung sowie Verstopfung.

Darüber hinaus treten Stoffwechselprobleme durch Übersäuerung (metabolische Azidose oder Ketoazidose) auf, es kommt zu erniedrigtem oder erhöhten Blutzuckerwerten oder Problemen beim Abbau von Fetten.

Viele nicht sitzfähige Patienten verbrauchen viel Energie für Ihre Atmung und das Bekämpfen von Atemwegsinfektionen. Dadurch besteht die Gefahr einer Unterernährung mit der Schwierigkeit an Gewicht zuzunehmen.

Um das persönliche Gewicht / Body Mass Index (BMI) zu erreichen und aufrecht zu erhalten, sollte eine regelmäßige Beratung durch Ernährungsspezialisten erfolgen, – auch um einen angepassten individuellen Ernährungsplan mit einer entsprechend ausreichenden Flüssigkeitszufuhr zu erstellen.

Atempflege/-übung, Lungenprobleme und Infektbehandlung.

Aufgrund der schwachen Atemmuskulatur kann es zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen kommen.

Wird durch den zu schwachen Hustenstoß bestehender Schleim nicht richtig abgehustet, so kann dies zu einer Infektion von Bronchien und Lungen führen. Hier können eine gezielte Physiotherapie oder ein sogenannter Hustenassistent eingesetzt werden.

Häufig gelingt es Patienten nicht tief genug einzuatmen, wodurch der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid eingeschränkt wird (Hypoventilation). Der dadurch verminderte Sauerstoffgehalt im Blut mit der erhöhten Kohlendioxidkonzentration führt dann zu einer schlechten Schlafqualität, morgendlichen Kopfschmerzen und Tagesmüdigkeit.

Hier könnten (nach Untersuchungen im Schlaflabor) entsprechende Beatmungsgeräte eingesetzt werden.

Die üblichen Impfungen, insbesondere Pneumokokken und die jährliche Grippeimpfung, sollten durchgeführt werden. Für Kinder bis zu 2 Jahre wird eine Impfung gegen das Atemprobleme verursachende Synzytial-Virus (RSV) empfohlen.

Ernährungssonde

Bei Säuglingen und Kleinkindern besteht aufgrund ihrer Schluckschwierigkeiten (Dysphagie) die Gefahr, dass möglicherweise Lebensmittel in die Luftröhre gelangen, wodurch eine Lungenentzündung ausgelöst werden kann. Sollte ein entsprechender Test zeigen, dass Probleme beim sicheren Schlucken bestehen, wird gemeinsam mit dem medizinischen Team das Legen einer Ernährungssonde in Betracht gezogen.

Beteiligung andere Organe.

Unmittelbar nach der Befruchtung einer Eizelle ist das SMN–Protein nicht nur im Rückenmark, sondern sofort auch in allen anderen Zellen zu finden. Demzufolge könnten auch andere Organe wie das Herz, das Gehirn und die Nerven vom Mangel dieses Proteins beeinträchtigt sein. Wissenschaftlich gibt es aber dafür keinen direkten Nachweis.

Häufiger beobachtet wurden bei Menschen mit SMA in erster Linie Probleme mit der Bauchspeicheldrüse. Eine Kontrolle des Blutzuckerspiegels wird hier empfohlen, insbesondere während akuter Erkrankungen.

Akutversorgung / Notfall/ Patientenverfügung

Die häufigsten Ursachen für eine Notfallversorgung sind Atemwegsinfektionen. Erwachsenen wird daher die Erstellung eines Notfallplanes in Form einer Patientenverfügung empfohlen. So können Betroffene und ihre Familien in Zeiten des Wohlbefindens ihre Wünsche klar definieren. Sowohl die Kommunikation als auch die langfristige Versorgung im Notfall werden dadurch erleichtert und sichergestellt.

Medikamentöse Therapie

Um die Symptome von SMA zu behandeln und abzumildern, stehen Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung.

  • Calcium und Vitamin D sowie Bisphosphonate für Wachstum und Knochengesundheit
  • Anti-Reflux Medikamente gegen das Sodbrennen und die damit verursachten Entzündungen von Speiseröhre und Schleimhäuten
  • Antibiotika gegen die Keimbesiedlung in der Lunge
  • Probiotika (Bakterienkulturen und Hefen) für eine gesunde Besiedlung des Darmes und Regulation des Verdauungssystems

Neue Hoffnung / Keine Heilung aber enorme Verbesserung der Lebensqualität

Noch vor wenigen Jahren gab es keine medikamentöse Therapieoption zur Behandlung der Spinalen Muskelatrophie. Dann wurden in kurzen Abständen zwei hochmoderne, aber kompliziert einzusetzende Medikamente zugelassen. Das erste ist ein sogenanntes RNA-Therapeutikum, das in regelmäßigen größeren Abständen durch eine Lumbalpunktion (Injektion direkt in das Nervenwasser des Rückenmarkkanals) verabreicht wird. Das nachfolgend entwickelte Gentherapeutikum hingegen muss nur einmal appliziert werden und soll dann lebenslang wirken. Beide Medikamente können bei verschiedenen Formen der SMA durch Spezialisten zum Einsatz kommen, auch bei jenen Patienten, bei denen die Krankheit erst später pathologisch wird.

Seit dem 1. Mai 2021 steht Erwachsenen, Jugendlichen, Kindern und Säuglingen ab 2 Monaten mit SMA endlich eine orale Therapiemöglichkeit mit nachgewiesener Wirkung zur Verfügung. Es ist das erste Medikament, mit dem die Behandlung der spinalen Muskelatrophie zu Hause durchgeführt werden kann.

Das Spezialtherapeutikum erhöht die Bildung von funktionsfähigem SMN-Protein, das den Untergang von Motoneuronen und dem fortschreitenden Muskelschwund entgegenwirken soll. Somit können bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu 2 Jahren mit Typ-1-SMA die motorischen und respiratorischen Funktionen gestärkt und die Lebensqualität und Unabhängigkeit von Typ2, 3 und 4 verbessert bzw. bewahrt werden.

Die Einnahme erfolgt einmal täglich, jeweils zur gleichen Uhrzeit, nach einer Mahlzeit, unter Verwendung der mitgelieferten, wiederverwendbaren Applikationsspritze oral oder über eine Sonde. Das Arzneimittel kann selbst eingenommen oder von einer Betreuungsperson verabreicht werden.

Da das Medikament in Pulverform erhältlich ist, muss es zur Einnahme rekonstituiert – also in eine Lösung gebracht werden.

Die Aufbereitung dieses hochwirksamen Spezialtherapeutikums sollte unter Sicherheitsaspekten erfolgen – diese Aufgabe übernimmt das medizinische Fachpersonal oder das pharmazeutische Personal der Apotheken.

Weiterführende Literatur/ Hinweise:

https://www.dgm.org

Leitfaden zu den Internationalen Therapiestandards für Spinale Muskelatrophie:
https://www.dgm.org/sites/default/files/content/2020/03/30/leitfaden-therapiestandards-sma2020.pdf