Der Artikel zum Vortrag von Prof. Dr. Christoph Keck, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Anlässlich des Weltverhütungstages am 26.09.2023 fand im Hörsaal der Königin Friedrich Stiftung eine Hybrid-Informationsveranstaltung zu diesem Thema statt, zum wiederholten Male initiiert von Frau Dr. Susanne Hampel. Unsere Witzleben Apotheken wurden eingeladen, zum Thema Pille Danach zu referieren, ein Vortrag, der ebenfalls in zusammengefasster Form nachzulesen ist.
Begrüßt wurden die Teilnehmer von der Berliner Frauenärztin Frau Dr. med. Nicole Matern, Landesvorsitzende vom Berufsverband der Frauenärzte und –Ärztinnen. Prof. Dr. Christoph Keck referierte über das interessante und spannende Thema Verhütung – die Pille.
Anfänge und Weiterentwicklung der Antibabypille
Die erste Pille kam im Juni 1961 auf den Markt, entwickelt vom Berliner Unternehmen SCHERING®. Durch das Zusammenbringen von synthetischem Östrogen (Ethinylestradiol) und Gestagen wurde sie als Kombinations-Pille bezeichnet und vorerst offiziell nur „zur Behandlung von Menstruationsstörungen“ abgegeben – der damaligen Zeit mit gesellschaftlichen und religiösen Ansichten geschuldet.
Der Wirkstoff Ethinylestradiol ist auch heute noch in einer Vielzahl von Pillen Präparaten enthalten. Im Laufe der Zeit wurde die ursprüngliche Pille und hormonelle Verhütungsmethoden immer weiterentwickelt:
- 1967
Depot-Spritze (Drei-Monats-Spritze) - 1980
Minipille (sie enthält nur das Gestagen) - 1996
Erste Hormonspirale (mit einer bis zu 5-jährigen Wirksamkeit) – Implantat und Verhütungsring folgten - 2009
Erste Pille mit natürlichem Östrogen auf dem Markt - 2021
Die Pille mit dem Wirkstoff Drospirenon, ein Arzneistoff aus der Gruppe der Gestagene
Wünsch Dir was!
Natürlich ist die Frage berechtigt, was sich Frauen von einem hormonellen Verhütungsmittel wünschen!
Neben der Sicherheit und der guten Verträglichkeit sollte sie unter anderem für stabile Blutungen sorgen und nach Absetzen eine „normale Fertilität“ bei Kinderwunsch bieten. Dazu kein negativer Einfluss auf die Allgemeinstimmung und die Libido sowie keine Gewichtszunahme!
Der Pearl-Index – die Verhütungssicherheit
Dieser bezeichnet die Sicherheit einer kontrazeptiven Methode. Laut Definition gibt der Pearl-Index (PI) die Zahl der Schwangerschaften von 100 Frauen an, die 1 Jahr mit einer bestimmten Methode verhüten.
Je kleiner der PI, umso sicherer ist die Methode.
Ein „guter“ Pearl-Index ist < 1.
Somit sind Hormonimplantate, Hormonspiralen, Hormonpflaster, die Mikropille 21/7, der Hormonring, die Drei-Monats-Spritze, die Minipille und die Kupferspirale in absteigender Reihenfolge sehr sicher. Kondom und Verhütungsmethoden wie Temperaturmethode, Portiokappe, Diaphragma und chemische Verhütungsmittel (in Form von Zäpfchen, Creme, Gel, Schaum usw.) sowie die Kalendermethode (Knaus-Ogino) bedeutend unsicherer.
Nach einer aktuellen Studie aus dem Jahr 2021 verhüteten im Jahr 2015 ca. 56 % der Frauen zwischen 14 bis 50 Jahren mit der Kombinationspille – somit die beliebteste Verhütungsmethode in Deutschland.
Die „klassische Pille“ (Kombinationspille) enthält immer Östrogen und Gestagen jeweils in einer Tablette. Während das Gestagen für die Verhütung zuständig ist, sorgt das Östrogen vor allem für die Zyklusstabiliät.
Gute Pille, böse Pille oder Mythos Pille
Immer häufiger aber tauchen Schlagworte zu Schädlichkeit der Pille in den Medien auf. Kopfschmerzen und Übelkeit, Thrombose…. Sie soll dick machen, depressiv und auch die sexuelle Lust verringern. Das macht natürlich erstmal Angst und hat als Effekt, dass Frauen eventuell nicht mehr mit der Pille verhüten und dadurch ungewollt Schwanger werden. Zahlen dokumentieren, dass immer weniger Pillenverordnungen stattfinden. Ob das der „Panikmache“ geschuldet ist, wurde durch Befragungen erörtert:
Als Grund, warum sie die Pille nicht mehr anwenden, wurde in einer repräsentativen Umfrage an 14 bis 25 Jährigen geantwortet:
Macht die Pille dick?
Somit sagt immerhin ein Viertel der Befragten, dass sie wegen der Gewichtszunahme die Pille nicht (mehr) nehmen würden. Da die Erstverordnung der Pille in einem Alter von ca. 15 bis 16 Jahren erfolgt, also mitten in der Pubertät, hat die Gewichtszunahme eher genetische Aspekte (Umverteilung des Fettgewebes) und ist von Umweltfaktoren und Lifestyle abhängig!
Es gibt mittlerweile diverse wissenschaftliche Analysen und Studien zur Wirkung der Pille auf das Körpergewicht mit dem Fazit: „Die Pille“ hat keinen Einfluss auf das Gewicht oder den BMI (FSRH Guideline 2019). Gewichtszunahme im jugendlichen Alter geschieht auch ohne hormonelle Kontrazeption. (Evidenzbasiertes Statement 3. S22 Evidenzgrad 2b)
In den ärztlichen Sprechstunden wird aber auch die Frage gestellt, ob man bei Übergewicht / Adipositas überhaupt die Pille nehmen darf und ob sie bei Übergewicht ausreichend wirksam ist? Im medizinischen Bereich gibt es die sogenannte ROTE HAND BRIEFE, eine Art Warnmeldung, die Arztpraxen erhalten, wenn durch neue Studien und Untersuchungen der Verdacht aufkommt, dass ein Medikament schädlich sein könnte oder Nebenwirkungen hat. Und so gab es bereits 2014 den Hinweis, dass beim Einsatz von Kombinationspillen etwas häufiger Thrombosen (Gefäßverschluss) entstehen können. Eine Liste mit möglichen Risikofaktoren wurde veröffentlicht. Zu den Parametern zählen unter anderen ein BMI über 30 kg / m2 und ein Alter von über 35 Jahren. Ebenso der Faktor, ob geraucht wird oder Bluthochdruck vorliegt (Hypertonie RR) u.v.m..
Häufige Migräne, Diabetes Mellitus aber auch Begleiterkrankungen wie Morbus Crohn, Collitis Ulzerosa und Krebs stehen ebenfalls auf der Liste, ebenso aber auch Wechselwirkungen mit Cortikosteroiden, Neurolepetika, Antipsychotika, Antidepressiva und Chemotherapeutika. Ein Problem sind auch längere Reisen mit mehr als vier Stunden Ruheposition.
Wenn mindestens zwei dieser Risikoparameter aufeinandertreffen, sollte eine Kombinationspille nicht verordnet bzw. eingenommen werden, da dies in Summe zu einem erhöhten Risiko für Thrombosen führt. Als Beispiel: Eine 40-jährige Raucherin oder eine 38-Jährige mit einem BMI über 30! Und somit gilt das auch für Übergewicht / Adipositas: Alter über 35 + Rauchen schließt die Pilleneinnahme aus.
Eine grundsätzliche Abnahme der Sicherheit der Verhütung durch die Pille bei Frauen mit Übergewicht und Adipositas konnte bisher nicht nachgewiesen werden.
Ganz wichtig:
Auch bei erhöhtem Körpergewicht wird nur eine Tablette genommen. Bitte nicht diffusen Hinweisen im Netz zur doppelten Einnahme folgen!!
Auch hier gibt es laut evidenzbasiertem Statement (4.S25) keine Belege, dass die kontrazeptive Wirksamkeit von hormonellen Kontrazeptiva bei adipösen Frauen reduziert ist. Da es aber widersprüchliche Daten zu Adipositas Grad II und III gibt, sollten sich Frauen mit entsprechender Erkrankung bei Fragen persönlich an Ihren Arzt oder Apotheker wenden.
Sicherheit der Pille danach bei Adipositas
Bei einem BMI > 26kg/m2 wird als Pille Danach 1 Tablette (30 mg) mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat empfohlen und nur, falls dieser nicht verfügbar ist, die doppelte Dosis (3mg) vom Levonorgestrel!
Für adipöse Frauen – aber auch unabhängig vom Körpergewicht – wäre als effektivste Methode auch eine Kupfer-IUS als Notfallkontrazeption empfohlen. (Evidenzbasiertes Statement 4.S26)
Ausführliche Infos dazu finden Sie in unserm Blog-Artikel „Die Pille Danach“ oder in dem dazugehörigen Video
Null Bock – Pille schuld?
Immerhin 15 von 100 Frauen schildern, dass sie die Pille nicht (mehr) nehmen würden aufgrund von Libidoverlust – obwohl sie sie ansonsten gut vertragen. Auch hier gibt es Untersuchungen sowie Studien und natürlich muss erwähnt werden, dass die sexuelle Lust von vielen Faktoren abhängig ist. Es gibt sowohl körperliche als auch psychosoziale sowie sexuelle Voraussetzungen.
Bei den körperlichen Voraussetzungen spielen die Wahrnehmung der eigenen Attraktivität aber auch genetische Einflüsse eine große Rolle. Berücksichtigt werden sollten dabei auch die „Anatomie“ der Genitale, die Vaskularisierung (durch viele Blutgefäße gut durchblutetes Gewebe), allgemeine und mentale Erkrankungen. An diesem Punkt geht es dann über in: sozio-kulturelle Einflüsse, die Qualität der partnerschaftlichen Beziehung, die sexuelle Kompetenz und die Berücksichtigung spezifischer weiblicher / individueller sexueller Bedürfnisse. Nur ein Faktor davon sind dann auch die Hormone.
Aber manchmal „passt“ es dann auch einfach nicht.
Die Aussagen“: „Androgene Pillen verbessern die Libido, antiandrogene Pillen verschlechtern die Libido, höherdosierte Pillen führen zur Libidominderung durch stärkere Reduktion des freien Testosterons“, wurden in Studien eindeutig als Mythen offenbart (z. B. im FSFI-Score/ Wallwiesner 2011). Sexueller Antrieb (Libido), Erregbarkeit und Orgasmusfähigkeit zeigten keinen Unterschied – ob hormonale, nicht hormonale oder keine Kontrazeption angewendet wurde. Viele Frauen sagen, dass sie durch die Tatsache, dass sie wegen der Pille sich nicht Sorgen um eine ungewollte Schwangerschaft machen müssen, ihr Sexualleben viel entspannter und erfüllter wahrnehmen.
Als Fazit kann auf jeden Fall gesagt werden: Auch wenn orale und nicht orale Kontrazeptiva zu Veränderungen der Hormonspiegel, insbesondere für Testosteron, führen, lässt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Hormonspiegeln und Sexualität / Libido nicht aufzeigen. Ebenso lässt sich die „Qualität des Sexuallebens“ nicht am Hormonspiegel ablesen. Sollte „Frau“ trotzdem das Gefühl haben, dass das Nachlassen der Libido von der Pille kommt, ist angeraten, im Gespräch mit der Frauenärztin oder dem Arzt das Präparat zu wechseln oder im weiteren Schritt eine andere Anwendungsform zur Empfängnisverhütung zu wählen.
Risiken und Nebenwirkungen: Thrombosen
Mit Wirkung gibt es auch Nebenwirkungen. Die in den Kombinationspillen enthaltenen Östrogene aktivieren Gerinnungsfaktoren und unterdrücken gerinnungshemmende Faktoren. Je niedriger die Ethinylestradiol-Dosis, desto geringer das Thrombose-Risiko – also einen Gefäßverschluss durch ein Blutgerinnsel zu bekommen. Diese sind meistens in den Beinen lokalisiert und können nicht nur sehr schmerzhaft, sondern auch gefährlich sein, da sich das Blutgerinnsel auch aus der Vene lösen kann. So kann es bis in den Lungenkreislauf gelangen und dort z. B. eine Lungenembolie auslösen. Auch hier muss individuell geklärt werden, ob eine Frau Risikopatientin ist und die jeweilige Pille geeignet ist. (siehe Rote-Hand-Briefe)
Um die Sicherheit vor Thrombose zu erhöhen, wurde die Östrogendosis im Laufe der Jahre bereits immer weiter abgesenkt. Synthetische Östrogene bergen übrigens ein höheres Thrombose Risiko als natürliche! Die Gestagene – als Bestandteil der Kombinationspille – können allerdings den Einfluss von Östrogenen auf das Gerinnungssystem in unterschiedlichem Ausmaß steigern. So hat Levornogestrel einen geringen Effekt, während die anderen synthetischen Gestagene (Cyproteronacetat, Chlormadinonacetat, Dienogest, Drospirenon usw.) einen stärkeren Effekt haben. Bei der sogenannten Minipille fehlt hingegen das Östrogen und somit hat diese Pille keinerlei Einfluss auf das Thrombose-Risiko.
1 + 1 = 3
Das Risiko zur Entwicklung einer Thrombose hängt neben der Zusammensetzung der Pille aber viel stärker vom Alter und Gewicht der Patientin ab und natürlich ob sie raucht und bei ihr bereits Gerinnungsstörungen vorliegen. Je älter die Frau, umso stärker das Risiko.
So liegt das VTE-Risiko (venöse Thromboseembolie) bei Frauen – bezogen auf 10.000 Frauen – wie folgt:
- Jünger als 20 Jahre:
4,3 - 20 bis 29 Jahre:
8 - 30 bis 39 Jahre:
13 - 40 bis 49 Jahre:
23,9 - ab 50 Jahre:
50,1
Zusammenfassend ist also das Risiko für eine Thrombose für eine 50-Jährige mehr als 10-mal so hoch wie für eine 20-Jährige. Die Tatsache, das Übergewicht das Thrombose-Risiko erhöht, ergibt eine weitere Besonderheit: Bei Übergewicht plus höherem Alter potenzieren sich die Faktoren und beide zusammen bilden ein hohes Risiko. Beim Rauchen ist es ähnlich: Bereits ein relativ geringer Nikotingenuss führt zu einem Thrombose-Risiko. Für eine Frau, die die Pille nimmt und nur eine Zigarette pro Tag raucht, ist das Risiko, eine Thrombose zu bekommen, 30-mal höher als wenn sie nicht raucht! Raucht sie täglich 20 Zigaretten, dann verdoppelt sich das Risiko sogar!
Risikofaktoren dürfen also nie isoliert bzw. alleine betrachtet werden, sondern immer als Summe der einzelnen Faktoren. Daraus ergibt sich das Gesamtrisiko für die Anwenderin. Um diese Risiken auch wirklich zu erfassen und nichts Wichtiges zu vergessen, gibt es in einigen frauenärztlichen Praxen Fragebögen, die von MEDICOVER erstellt wurden.
Abschließend muss aber auch erwähnt werden, dass eine Thrombose im Laufe eines Lebens auch bei einer Frau ohne Verwendung der Pille auftreten kann. Während der Faktor bei Pilleneinnahme bei ca. 3 – 9 liegt, ist er bei nicht schwangeren Frauen, die keine Pille nehmen, bei ca. 1 – 5 (von 10.000 Frauen). In der Schwangerschaft liegt er bereits bei 5 – 20 und nach der Geburt in den ersten 12 Wochen sogar bei 40 – 65 – also über 10-mal so hoch wie bei einer Pilleneinnahme.
Fazit
Die individuellen Risiken müssen sorgfältig beachtet werden – danach richtet sich die Auswahl des Pillenpräparates. Risiken sollen nicht unter- aber auch nicht überbewertet werden.
Aber gleichzeitig sollen auch die positiven Auswirkungen der Pille besprochen werden, wie
Gleichzeitig ist die Pille nach wie vor das am häufigsten genutzte Verhütungsmittel!